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Die Soziale Frage zu Beginn des 21. Jahrhunderts

Lebenslagen im Sozialstaat
Wurde die soziale Frage durch Sicherstellung eines von Hunger und Kälte geschützten Lebens durch den Sozialstaat gelöst?
Der Autor Wolfgang Voges ist anderer Meinung.

Die soziale Frage wurde in der Vergangenheit, und zu einem sehr großen Teil heute immer noch, lediglich auf die absolute Zahl materieller Dinge die die Betroffenen zu Verfügung haben, gemünzt. Dabei wurde/wird versucht, einzelne Parameter Materiellen Besitzes alleinstehend und vor allem absolut, also in keinem Verhältnis zur Restgesellschaft zu messen und diese Parameter bis zu einem bestimmten Grad zu verbessern. Dabei wird oft vernachlässigt dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das sich selbst immer in Relation zu seinen Mitmenschen betrachtet. Objektiv gesehen geht es heute den meisten Proletariern besser als der Bourgeoisie des 18ten Jahrhunderts. Der Großteil verfügt über Autos, hat fließendes Wasser, hat Strom etc. Alles Dinge die selbst frühere Oberschichten nur zu einem geringen Teil bzw. in einer minderwertigeren Form zu Verfügung hatten.  Damit ist die soziale Frage aber noch nicht geklärt. Trotz einer durch den Sozialstaat gesicherten Grundversorgung können Individuen immer noch mit ihrer Lebenslage höchst unzufrieden sein. Sieht man die soziale Frage also in einem subjektiven Kontext, hat der Sozialstaat versagt. Eine Möglichkeit auch dem subjektiven Kontext gerecht zu werden, ist es durch staatliche Umverteilung die Materiellen Güter in einer Gesellschaft stark aneinander anzugleichen.

Armut war gestern?
Ist Armut absolut? Und kann sie allein durch staatliche Umverteilung eliminiert werden?
Berthold Dietz Antwortet auf beide Fragen mit einem klaren ‚Nein‘.

Im September 2010 legte die deutsche Bundesregierung die so genannten Hartz IV-Regelsätze neu fest. Nach heftiger Kritik, unter anderem von Hans Jürgen Papier („die Regelleistungen genügen dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht. Die einschlägigen Regelungen sind daher verfassungswidrig“). Wurden die Bedarfssätze daraufhin neu berechnet, mit einem entscheidenden Fehler: Als Referenzgruppe dienten die ärmsten 15 Prozent der Einzelhaushalte, die keine Grundsicherungsleistung beziehen. Daraus wurde dann ein Durchschnittseinkommen berechnet, das dann für die Höhe der Sozialleistungen ausschlaggebend war. Dabei wurde nicht berücksichtigt, dass sich unter den 15 % zahlreiche Individuen mit sehr geringen Einkommen befinden die zwar ein Recht auf eine Grundsicherungsleistung haben, diese aber nicht beziehen (working poor).
Armut ist relativ und hängt stark vom subjektiven Empfinden ab. Eine sehr weit verbreitete Definition von Armut ist das Beziehen von einer Grundsicherung. Darin steckt auch das zentrale Dilemma: Werden die Ansprüche um Mindestsicherung zu erhalten so verändert, dass weniger Menschen ein recht auf diese Sozialleistung haben, steigt die absolute, in Materiellem Wert messbare Armut. Empfangen mehr Menschen diese Transferleistungen erhöht sich die Anzahl der subjektiven Armen, al jener die sich aufgrund des Empfangens der Sozialleistung als arm empfinden. Dieses subjektive Armutsempfinden ist in Gesellschaften größer, in denen Materielle Werte einen höheren Stellenwert genießen.
Um die Armut also effektiv zu bekämpfen ist es von essentieller Bedeutung dass man nicht mit dem Finger auf arme zeigt, sondern aufzeigt was die Folgen von Armut sind. Erst wenn Armut kein Grund für Minderwertigkeitsgefühle mehr ist, kann sie besiegt werden.

Persönliches Statement
Beide Autoren behandeln eine ähnliche Frage: Ist Armut, und damit auch die soziale Frage, absolut oder relativ. Beide verneinen diese Frage. Trotzdem geht Berthold Dietz einen logischen Schritt, der Wolfgang Voges nicht geht: Er erkennt, dass das subjektive Empfinden von Armut erstens vom Bezug von Sozialleistungen Abhängt und zweitens hauptsächlich deshalb ein Problem ist, weil sich ein sehr großer Anteil der Gesellschaft für eine subjektive Armut schämen würde. Berthold Dietz hingegen schreibt dass Armut nur durch stärkeres Umverteilen reduzierbar, bzw. eliminierbar ist.
Beide haben aber einen meiner Meinung nach weiteren wichtigen Faktor nicht hinterfragt: Ist ein Sozialstaat überhaupt in der Lage Armut effektiv zu bekämpfen? Nach persönlichen Erfahrungen haben alle Staaten der Erde eines gemeinsam: Sie sind ineffizient. Fast in jedem Bereich sind/wären Firmen aus dem privatem Sektor in der Lage mit den gleichen finanziellen Mitteln ein besseres Ergebnis zu erzielen. Das hat hauptsächlich drei Gründe, welcher Grund gewichtiger ist als die Anderen hängt vom jeweiligen Staat ab: Erstens, der Staat hat keine Konkurrenz, sondern ist ein Monopol; er muss nicht effizient sein um überhaupt existieren zu können; Steuern werden auch von ineffizienten Staaten erhoben. Zweitens sind staatliche Organe in der Praxis leider sehr oft dem Willen und ideologischen Vorstellungen der jeweiligen Regierung ausgeliefert. Dadurch arbeitet der Staat nicht mehr mit Blick auf Effizienz, sondern mit Blick auf Ideologie. Drittens neigen Staaten dazu einen sehr kostspieligen Bürokratieapparat zu installieren. Wegen diesen drei Gründen ist der Grundbetrag der der Staat durch Transferleistungen auszahlt geringer und auch zum Teil ‚falsch‘ verteilt. Eine Möglichkeit diesem Missstand Herr zu werden, wäre es die Steuerlast und damit auch die Sozialleistungen zu reduzieren, und darauf bauen dass Menschen aufgrund der niedrigeren Steuern einen höheren Betrag ihres Geldes an private Wohltätigkeitsorganisationen spenden.
Natürlich ist dieser Ansatz sehr umstritten und ist aus einer sehr stark (Wirtschafts-) Liberalen bis Libertären Sicht. Beide Autoren glauben an einen (großen) Staat, ähnlich wie eher sozialistischere Autoren den Staat als prinzipiell gut und Grundvoraussetzung nehmen, wird der Umstand der ‚Entfremdung der Arbeit‘ von Wirtschaftsliberalen meistens ignoriert. 
Trotzdem habe ich eine, wenn auch nur kurze, Abhandlung darüber vermisst.


Patrick Sonnweber, InterMedia Bachelor, 4. Semester, April 2016

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