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Plastik ist nicht gleich Plastik (ist nicht gleich Plastik)

CC-by-sa ethify.org & dilemma

Plastik ist nicht gleich Plastik ist nicht gleich Plastik 


Eine Filmkritik von Patrik Kopf

Wir sind Kinder des Plastikzeitalters.
Kaum zu glauben, dass die Erde früher einmal ohne Plastik war. Doch nach dem großen Auftritt des belgischen Chemikers Leo Hendrik Baekeland, der vor 100 Jahren das erste vollsynthetische Produkt Bakelit produzierte, haben wir jetzt, nach der Steinzeit und Bronzezeit, die Plastikzeit.

Am liebsten hätte der Filmemacher von Plastic Planet seine 2009 veröffentlichte Dokumentation über Plastik mit einem Hubschrauberflug über reine unberührte Natur begonnen. Diese gibt es aber auf der Erde nicht mehr.
Der Österreicher Werner Boote ist Drehbuchautor und Regisseur seiner Kinodokumentation Plastic Planet. Der Filmemacher ist zugleich auch die Hauptperson, die aus einer Neugierde und Betroffenheit heraus agiert. Er will wichtige Informationen vermitteln und zugleich aufrütteln und den Zuschauer unterhalten. Dies gelingt ihm nicht immer, wenn überhaupt.

Die Kernaussage der Dokumentation ist: Plastik ist nicht gleich Plastik (ist nicht gleich Plastik). Kunststoff besteht nämlich aus verschiedenen Zusatzstoffen. So erklärt der Chemiker Peter Lieberzeit, dass Plastik ein Überbegriff für eine chemische unheimliche Vielfalt an Substanzen ist, die auf sehr verschiedene Arten hergestellt werden. Es sei wie „Lego für Erwachsene“: Man nimmt kleine Bausteine und fügt diese zu Dingen zusammen, die nachher Funktionen, Eigenschaften habe, die sie vorher nicht hatten.

Die vermeintlich schöne, heile Welt des Kunststoffs hat auch Schattenseiten, die der Film beleuchtet. Zum einen verschwindet Plastik nicht. Der Plastikabfall sammelt sich in der Natur. Charles Moore von der Algalita Marien Research Foundation erklärt Boote, dass sich eine Schicht aus Plastik über unseren gesamten Planeten zieht: "Die Spuren der Zivilisation haben nun den Ozean verseucht. Das lässt sich nie wieder ungeschehen machen, denn niemand kann das Plastik herausholen."

Zum anderen lässt sich Plastik nur schwer recyclen, weil man die genaue Zusammensetzung nicht kennt. Deshalb können hochwertigste Plastikabfälle nur für minderwertige Produkte wiederverwendet werden. Nicht einmal die ganz großen Konzerne wissen genau aus welchen Zusatzstoffen ihre Plastikflaschen gemacht sind.
Plastik enthält Weichmacher. Die sind für die Verarbeitung notwendig und geben dem Plastik seine tollen Eigenschaften. Sie entweichen jedoch im Laufe der Zeit aus dem Kunststoff in die Umwelt. Die Weichmacher gelangen so in die Nahrungsmittel, die wir in Plastik lagern. Geringe Mengen dieser Weichmacher haben schon in Tierversuchen erhebliche Störungen des Hormonsystems ausgelöst.

Plastic Planetsetzt auf einfache filmische Mittel. Werner Boote beginnt ganz subjektiv mit seiner persönlichen Beziehung zum Plastik. Sein Großvater war seit den 60ern Geschäftsführer der deutschen Interplastikwerke. Er schenkte ihm die wunderbarsten Produkte aus Plastik. Eines Tages las er in Zeitungsartikeln über das "Dilemma des Kunststoffes". Einerseits sei Plastik ein praktisches, preiswertes und flexibles Material, andererseits aber auch eine Gefahr für unseren Planeten und aufgrund giftiger Zusatzstoffe auch für unsere Gesundheit. Werner Boote war überrascht und schockiert zugleich, denn er verband mit Plastik immer eine glückliche Kindheit und nun stellte sich heraus, dass Plastik auch Leben in Gefahr bringe.

So nimmt der 45-jährige Filmemacher mit einer fast kindlichen Neugierde sein Publikum mit auf eine Erkundungsreise in die Welt des Kunststoffs – auf seine Suche nach Antworten. Er reist um die Erde, besucht Orte an denen Kunststoff verarbeitet wird oder die Umweltverschmutzung durch Kunststoff besonders hoch ist. Dort lässt Herr Boote sich von Experten den Kunststoff und die damit verbundenen Probleme erklären.

Früher waren Dokumentarfilme noch Lehrfilme, die ihren Zuschauern sachlich die Welt erklärten und harte Fakten vermittelten. Der Filmemacher nahm sich dabei ganz zurück und ließ allein seine Bilder mit Originalton und die Montage sprechen. Nicht so bei Plastic Planet. Werner Boote folgt daher mit seiner Ich-bezogenen Herangehensweise einer aktuellen Modeströmung im Dokumentarfilm.

Während des gesamten Films reist der Filmemacher zu den verschiedensten Ländern. Werner Boote jettet zur Sahara nach Qarzazate zum ehemaligen Filmschauplatz von „Lawrence von Arabien“, welcher 45 Jahre nach dem Dreh mit zerfetzten Plastiksäcken verwüstet ist. In Italien in Venedig spricht er mit Beatrice Bortolozzo in der Gegend von Porto Marghera über ihren Vater, der dort im Kozern Montedison durch die Herstellung von Vinylchlorid am Raynaud Syndrom erkrankte. Herr Bortolozzo war überzeugt, dass da ein Zusammenhang zwischen Vinylchlorid und den Krankheitsfällen innerhalb des Konzerns bestand. Sein Bericht wurde vom obersten Gerichtshof für richtig bestätigt. Dann in den USA führt Herr Boote ein Gespräch mit Frederic Corbin, dem Leiter einer Praxis für Plastische Chirurgie Praxis in Beverly Hills, Kalifornien. Im Interview geht es um den Begriff "Plastik", der heute verschiedene Bedeutungen hat.

Eine weitere Reise, die dem Zuschauer nach dem Film sicher in Erinnerung bleiben wird, ist der Aufenthalt Boote's in China in Shanghai bei der Kunststoffverarbeitungsfirma Qin Xu. Dort trifft der Filmemacher auf Vicky Zhang, die PR-Abteilungsleiterin von Qin Xu Plastic Products. Sie zeigt ihm die Firma und erklärt ihm, dass er die Wahl hat zwischen sechs verschiedenen Weichmachern. Frau Zhang hält Werner Boote für einen europäischen Großkunden, trotz der beiden Kameras. Herr Boote möchte aber nur sehen, wie diese Plastikfolien (z.B. zur Herstellung eines aufblasbaren Plastikglobus) hergestellt werden. Doch die Folienherstellung ist geheim, wie ihm Frau Zhang mitteilt. Das Geheimnis bleibt die chemische Zusammensetzung und die Produktionsmaschinen, denn nicht alle Unternehmen in Shanghai können das herstellen. Frau Zhang erkennt, dass sie es mit einem Filmteam zu tun hat und bricht das Interview ab. Herrn Boote wird jetzt bewusst, dass nicht mal ihre Kunden Einblick in die chemische Zusammensetzung ihrer Produkte bekommen. Das findet der Filmemacher schon sehr bizarr.

Im Film gibt es eine Szene, die unsere Abhängigkeit von Plastik eindrucksvoll darstellt. Alle Kunststoffteile werden aus einem Haushalt gebracht und vor die Türe gestellt. In der Dokumentation wird dies gleich viermal demonstriert in verschiedenen Erdteilen. Immer kommt ein riesiger Haufen Plastik zusammen, auch in einem indischen Slum. Jedesmal sagt ein Bewohner vor diesem Kunststoffhaufen den Satz auf: „Ich hätte nie gedacht, dass wir soviel Plastik haben.“

Der Film enthält auch sehr teure Bilder, etwa den Hubschrauberflug zu Beginn, oder eine sehr schöne und eindrucksvolle Szene auf den österreichischen Hochalpen. Dort beim „Dach der Welt“, einem Gletscher, befragt Boote den Umweltanalytiker Kurt Scheidl vor grandioser Bergkulisse zur Schadstoffbelastung des Planeten. Herr Scheidl hat Werner Bootes aufblasbaren Plastikglobus aus China chemisch analytisch untersucht und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Plastikplanet in dieser Form eigentlich gar nicht auf dem Markt sein sollte, denn er wird unter anderem durch seine enthaltenen Schwermetalle als krebserregend eingestuft.

Im Laufe des Filmes kommen einige kritische Experten zu Wort. Dadurch sammeln sich bei Werner Boote hunderte von Studien, die die Gefahren von Plastik beweisen:

-„...weiblichen Schnecken wachsen Penisse...“

-„...es gibt mehr weibliche Babys als männliche...“

-„...Diabetes bei Kindern...“

-„...es gibt keine nächste Generation...“

„...verursachen den Tod dieser Zellen...“

-„...Allergien, Krebs,...“

-„...verhaltensauffällige Kinder...“

-„...es gibt mehr Plastik als Plankton...“

-„...Hodenkrebs bei Kindern...“

An Werner Bootes Dokumentarfilm zu kritisieren wäre der Zwang, unbedingt unterhalten zu wollen, was mit der panischen Angst korrespondiert, den Zuschauer mit Fakten oder sachlichen Informationen zu behelligen.

Dies kann sehr peinlich für den Zuschauer werden, wie eine Sequenz gegen Ende des Filmes zeigt. Herr Boote wandert mit einem Koffer voller Studien über die Kunststoffmesse und fordert ein Interview mit John Taylor. Im Koffer befinden sich viele Studien welche die Gesundheitsgefahren durch Weichmacher belegen sollen. Er bekommt kein Interview, aber dafür ein Versprechen einer Reaktion. Einige Zeit später in Bootes Wohnort Wien wird er von Ray Hammond besucht, einem geschulten Business-speaker von Plastics Europe. Ein weiteres Gespräch über den Kunststoff findet statt.

Plastic Planet ist kein aggressiver Film gegen Plastikmüll. Werner Boote macht zum einen auf die Problematik des Kunststoff aufmerksam, die sich mit den Jahren entwickelt hat. Zum anderen tritt Herr Boote neugierig und mit einer Portion Witz an das Thema heran. Deutlich spürbar ist der persönliche Bezug, den er zu dem Thema hat. Boote zeigt in Plastic Planet mit Authentizität was es mit dem allgegenwärtigen Kunststoff auf sich hat.

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