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Das Dilemma des Menschen besteht darin, dass er zwar weiß, dass er sterblich ist, dass er aber so lebt, als wäre er unsterblich. Er lebt drauflos. Friedrich Dürrenmatt.
Mit dem Moment, an dem wir beginnen zu existieren, das mag sein, wenn der Same in die Eizelle eindringt, sich die Eizelle zu teilen beginnt, wenn aus dem Embryo ein Fetus wird oder wir den ersten Atemzug machen, gehen wir unserem Sterben entgegen. Unsere menschliche Hülle ist vergänglich wie alles Leben auf dieser Erde. Meist verdrängen wird diese Tatsache aus unserem Leben. Eingeholt werden wir meist nur dann, wenn ein Mensch aus unserer Nähe stirbt. Dann setzten wir uns mit unserer Sterblichkeit und dem unweigerlich auf uns zukommenden Tod auseinander.
In vielen Religionen ist das Leben heilig und ein freiwilliges Sterben wird als sündhaft angesehen. Na ja, in manchen Religionen betrachten es Minderheiten als heldenhaft, für etwas zu sterben. Aber das ist ein anderes Thema.
Meist genießen wir unser Leben. Einmal mehr, einmal weniger. Der Gedanke an den Tod, an unsere Vergänglichkeit beschäftigt uns selten. Und doch kommt für den einen oder die andere irgendwann der Moment, an dem diese Gedanken mit ganzer Wucht ins Bewusstsein geschleudert werden. Dann, wenn von einem Augenblick zum anderen Mephisto anklopft und anmerkt, dass das Ende naht. Wenn eine Diagnose wie ein Schlag ins Gesicht das Ablaufdatum festsetzt. In dieser Situation kann man der Tatsache nicht mehr aus dem Weg gehen, dass alles ein Ende hat.
Wie viele Jahre hat man sich für unbesiegbar gehalten, Ziele gesetzt und Pläne geschmiedet? Und nun, auf einen Schlag ist alles Makulatur. Schall und Rauch. Es umklammert einen mit eisiger Kälte, hält einem gefangen und macht einen ganz klein. Man versucht dem Unvermeidbaren zu entkommen, zu fliehen. Doch dann machen sich die ersten Zeichen bemerkbar und es ist nicht mehr mit dem Verleugnen, dem Davonlaufen. Man muss sich stellen, mit breiter Brust und klarem Blick. Den Kampf beginnen, auch wenn er aussichtslos scheint, aussichtslos ist.
Die Chance zu ergreifen, Begonnenes abzuschließen, Weichen zu stellen, den Tag zu nutzen. Carpe diem – sollte der Weg sein, den es einzuschlagen gilt. Dabei geht es weniger darum, sich selbst etwas zu beweisen, sich selbst zu besänftigen, sondern jenen, die zurückbleiben zu helfen. Wenig Ungesagtes zurückzulassen, keine Chancen zu vertun, keine Zeit zu vergeuden.
Was aber dem Leben Sinn verleiht, gibt auch dem Tod Sinn. Es ist leicht zu sterben, wenn es in der Ordnung der Dinge liegt. Antoine de Saint-Exupéry
Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem der Körper nur mehr schmerzt, jeder Schritt zur Qual wird, jede Geste unendlich viel Kraft verzehrt und man die Last nicht mehr alleine tragen kann. Dann stellt sich die Frage, wer bestimmt den Tag und die Stunde. Wir sind hin und hergerissen zwischen dem Wunsch solange wie möglich zu bleiben und der Sehnsucht der Fahrt ein Ende zu bereiten. Dem Wunsch, den blauen Himmel noch zu sehen, die wärmenden Sonnenstrahlen nochmals auf der Haut zu spüren und sich vom Herbstwind ein letztes mal die Haare zerzausen zulassen, auch wenn keine Haare mehr da sind und dem Wunsch nach Friede, Schmerzfreiheit. Dem Glücksmoment, wenn alles Irdische abfällt und unsere Seele ihre Ruhe findet.
Wie kann hier ein Weg gegen den anderen aufgewogen werden. Wie kann hier zwischen gut und schlecht, zwischen klug und dumm entscheiden werden. Wer hat die Größe analytisch das eine dem anderen gegenüberzustellen.
Der Moment der Entscheidung, die nicht endgültiger sein kann, der Entscheidung selbst zu bestimmen oder bestimmt zu werden. Hilflos darauf zu warten oder den Schritt zu machen. Wer nimmt sich hier das Recht zu entscheiden, welcher Weg der richtige Weg ist.
An so manchen Weggabelungen unseres Lebens müssen wir uns entscheiden und oft geraten wir in ein Dilemma, welches darin liegt, dass keiner der beiden Wege ohne bitteren Nachgeschmack gegangen werden kann. Kein Weg der absolut richtige ist. Kein Weg ohne Hindernis. Doch es bleibt uns die Chance daran zu arbeiten. Aus dem Dilemma einen Ausweg zu finden, doch das letzte Dilemma gibt uns, sofern wir uns für einen der Wege entscheiden, diese Chance nicht mehr.
Wenn ich sterbe, so bedeutet das für mich, der ich ein winziger Teil der Liebe bin, daß ich zu dem gemeinsamen ewigen Quell zurückkehre. Leo N. Tolstoi
In diesem Sinne geht euren Weg, nutzt eure Zeit. Irgend ein Dilemma wird das letzte Dilemma sein.