Was darf Satire und wer bestimmt wann sie zu Beleidigung wird?

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Ein Kommentar zur Causa Böhmermann

In der Bundesrepublik Deutschland gibt es nicht erst seit März 2016 eine Diskussion darüber, wie weit Satiriker gehen dürfen oder nicht. Jedoch erreichte die Debatte jüngst einen neuen Höhepunkt, nachdem sowohl das Satiremagazin extra 3 als auch der Moderator und Satiriker Jan Böhmermann den türkischen Staatspräsidenten aufgrund seiner Missachtung von Menschenrechten in einem Lied und einem Gedicht in die Kritik nahmen. Die Frage, wann Satire aufhört und die persönliche Beleidigung beginnt lag bisher vor allem im Auge des Betrachters und wurde nur selten durch Amts-, Landes- oder gar Bundesgerichte festgelegt.

Die seit einigen Wochen hitzig geführte Debatte über das sogenannte Schmähgedicht des ZDF-Moderators Jan Böhmermann hat jedoch eine neue Dimension erreicht. In eben jenem Schmähgedicht greift Böhmermann den türkischen Staatspräsidenten scharf an und beleidigt ihn mit frei erfundenen Behauptungen. Jan Böhmermann kündigte vor dem Auftragen des Gedichts in seiner Sendung an, dass die öffentliche Verbreitung derartiger Inhalte verboten ist – und sagte das Gedicht schließlich auf. Er wollte damit provozieren und auf die Grenzen der Meinungs- und Pressefreiheit aufmerksam machen. Dies ist ihm gelungen.

Ein Gesetz aus der Kaiserzeit im Mittelpunkt der Debatte

Einige Tage später stellte der türkische Staatspräsident Strafanzeige nach Paragraf §185 wegen persönlicher Beleidigung. Dieser Paragraf wird in der Bundesrepublik Deutschland vielfach bei Streitereien mit Beleidigung berücksichtigt und gehört zur täglichen Routine hiesiger Gerichte. Neben der Anzeige mit Berufung auf Paragraf §185 stellte der türkische Präsident jedoch auch Strafanzeige nach Paragraf §103. Dieser Paragraf stammt aus dem Kaiserreich und fand nach dem Zweiten Weltkrieg Eingang in die deutsche Bundesgesetzgebung. Das Gesetz regelt die Bestrafung bei Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter, Monarchen und anderer Staatsorgane. Anders als beim Paragraf §185 ist bei Paragraf §103 jedoch eine Zustimmung der Bundesregierung notwendig um Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft zu ermöglichen. Die Brisanz dieses Falls liegt nun darin, dass die Bundesregierung unter Führung von Angela Merkel dem Antrag der türkischen Regierung stattgegeben und damit die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen ermächtigt hat.

In Deutschland hat der Fall Böhmermann damit eine neue Dimension erreicht und Medien, Gesellschaft und die Politik selbst beschäftigen sich mit der Frage, inwieweit sich Politiker aus dem In- und Ausland in die deutsche Rechtsprechung einmischen dürfen. Neben der durch die Gesellschaft begrüßten Tatsache, dass die große Koalition den umstrittenen Paragraf §103 ersatzlos streichen möchte, stößt die Erteilung der Erlaubnis zu den Ermittlungen gegen Jan Böhmermann laut einer Umfrage von ARD in der Bevölkerung auf großes Unverständnis. Etwa zwei Drittel der Befragten lehnen die Erlaubniserteilung ab. Die Menschen stellen sich zu Recht die Frage, warum die Bundesregierung sich den Wünschen des türkischen Präsidenten beugt und Ermittlungen zulässt. Auch die Frage nach den Grundwerten der Demokratie, also der Teilung der Gewalten rückt in den Mittelpunkt der Debatte. Darüber hinaus sehen sich vor allem Vertreter der Medien in ihren Grundrechten zur Meinungs- und Pressefreiheit beraubt.

Nicht die Regierung soll über den Fall entscheiden, sondern unabhängige Gerichte

Die Antiquität und Entbehrlichkeit des Paragraf §103 ist unbestritten und seine Abschaffung scheint nur noch reine Formsache. Umso mehr zeigt sich Unverständnis in der Bevölkerung und in den Medien über die Zulassung des Verfahrens durch die Bundesregierung. Hier gilt es jedoch zwei wesentliche Punkte zu beachten: Erstens ist der Paragraf noch in Kraft und selbst seine Abschaffung in der nächsten Bundestagssitzung würde seine Gültigkeit in der Causa Böhmermann nicht beeinflussen. Des Weiteren sollte auch die Zustimmung der Bundesregierung zum Antrag Erdogans genauer hinterfragt werden. Unser subjektives Verständnis von demokratischen Werten lässt uns die Entscheidung auf den ersten Blick verfassungsfeindlich und nicht nachvollziehbar erscheinen: Warum wird einem ausländischen Staatsoberhaupt, welches nicht gerade für die Achtung demokratischer Grundwerte und Menschenrechte bekannt ist, gestattet, sich in innere Angelegenheiten einzumischen und gegen die Meinungs- und Pressefreiheit vorzugehen? Auf den zweiten Blick erscheint die Erlaubnis der Bundesregierung zu Ermittlungen nach Paragraf §103 jedoch logisch und auch richtig. Auch wenn man in seiner subjektiven Wahrnehmung der Zustimmung widersprechen möchte, ergibt sich objektiv und in Bezug auf die wesentlichen Säulen unserer demokratischen Werte ein anderes Bild. Durch die Zustimmung erteilt die Bundesregierung nämlich nur der Staatsanwaltschaft das Recht, Ermittlungen aufzunehmen – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Gewaltenteilung ist eine der prägenden Stützen unserer Demokratie. Würde die Bundesregierung den Antrag des türkischen Präsidenten ablehnen, wäre dies ein Eingriff in die Gewaltenteilung. Nur durch die Zustimmung können unabhängige und freie Gerichte die Causa Böhmermann bewerten und urteilen. Denn es ist ihre Aufgabe und nicht die von Regierungen oder Präsidenten. Herr Erdogan sollte sich daran ein Beispiel nehmen.

- Julian Hechler / InterMedia / Media Ethics

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