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Clemens G. Arvay – Autor des „großen Bio-Schmäh“ mischt mit diesem Buch gehörig die Bio-Szene auf und findet nicht nur Anhänger, sondern auch Gegner und Kritiker.
Biologische Lebensmittel liegen voll im Trend – dies zeigen die stetig steigenden Umsatzzahlen. Den allergrößten Teil des Umsatzes sichern sich mittlerweile jedoch Österreichs größte Lebensmittelkonzerne wie Spar, Billa, Hofer und Lidl. 91,5 Prozent aller Bio-Einkäufe wurden 2010 in Supermarktriesen und Lebensmitteldiskonter getätigt. Gerade einmal 8,5 Prozent teilen sich Bio-Läden und Reformhäuser.
Bio-Marken der Großkonzerne
Die Lebensmittelgiganten haben Bio erschwinglich gemacht und so in fast alle Haushalte Österreichs gebracht. Doch was steckt wirklich hinter all den Bio-Handelsmarken dieser Großkonzerne?
Arvay stößt in seinem Buch auf Tierfabriken, endlose Monokulturen und industrialisierte Landwirtschaft. Der Autor begibt sich auf eine Reise durch den biologischen Massenmarkt und lüftet Geheimnisse, welche die Öffentlichkeit nie hätte erfahren sollen, wenn es nach den Lebensmittelkonzernen ginge.
Es kann hierbei schon längst nicht mehr von der ursprünglichen Bio-Idee des ökologischen Landbaus gesprochen werden. Arvay kritisiert jedoch nicht die Bio-Idee an sich. Vielmehr geht es ihm um die Vereinnahmung durch die Großkonzerne. Vom Insider der Bio-Bewegung zum Insider des Bio-Massenmarktes: Arvay arbeitete fast ein halbes Jahr lang im Qualitätsmanagement für die Bio-Marke Zurück zum Ursprung von Hofer und weiß wovon er spricht. Der ökologische Landbau, wie man ihn noch von früher kennt, existiert für Österreichs Großkonzerne in dieser Form schon lange nicht mehr – Bio wurde längst industrialisiert.
Idyllische Bilder aus einer wohlig warm wirkenden Backstube: Ein junger Bio-Bäcker knetet sorgfältig und mit gekonnten Handbewegungen den Teig. Handarbeit scheint hier noch einen wichtigen Stellenwert zu haben. So sieht ein TV-Werbespot für Zurück zum Ursprung, der Bio-Marke von Hofer, aus. Doch anstatt hier wirklich auf traditionelles Handwerk zu stoßen, verbirgt sich hinter dieser inszenierten Kulisse eine Großfabrik die wohl nichts mehr mit einer traditionellen Backstube zu tun hat. Riesige Maschinen kneten Teig, formen Brot und Wecken, drücken ihre Roboterarme im rasenden Akkord auf das Backwerk und landen schließlich in einem Backofen der so groß ist, dass ein Lastwagen darin Platz hätte. So beschreibt Clemens G. Arvay den Besuch der Bäckerei Kuchen Peter in Hagenbrunn, welche 55% aller Bio-Backwaren von Zurück zum Ursprung für alle Hofer-Filialen in Wien herstellt. Darüber hinaus werden die meisten Biobrot-Erzeugnisse in derselben Nacht, mit denselben Maschinen und ebenso auf industrielle Weise wie die herkömmliche Ware produziert.
"Das Erbe der Landwirtschaft ist aufgrund von Konzerninteressen bedroht", warnt Arvay im derStandard.at-Gespräch. Was ihm wichtig ist: "Der Konsument hat mit Biolebensmittel-Kooperativen und solidarischen Landwirtschaftsprojekten Alternativen. Die muss er nützen, um sich und die Bauern aus der Abhängigkeit der Konzerne zu befreien."
Die Meinungen gehen hier jedoch weit auseinander. Es ist zwar bedauerlich, dass die Großkonzerne den ursprünglichen Bio-Gedanken nicht mehr im gewünschten Ausmaß umsetzen können. Aber nur weil Biobrot nicht mehr aus idyllischen Kleinbäckereien stammt, sondern in Großbäckereien industriell hergestellt wird, ist es für Kritiker dieses Buches noch lange kein (Bio)Schmäh.
Michael Sigmund (Umweltgemeinderat Pressbaum) kommentiert den “Bio-Schmäh” aus Sicht des Energieexperten: „Ja, natürlich wird Supermarkt Bio-Brot in Massenbäckereien gebacken! Und das ist auch gut so! Stellen wir uns einmal vor, fast alle Bäuerinnen und Bauern würden in idyllischen Mini-Backstuben jeweils Mini-Mengen an Brot und Gebäck backen. Wenn wir damit Milliarden von Menschen ernähren wollten, müsste es extrem viele Mini-Backstuben geben. Und die wären alle extrem ineffizient! Auch was den Einsatz von Energieträgern betrifft! Der Energieverbrauch pro kg Brot wäre extrem hoch! Für eine halbwegs nachhaltige Lebensmittelproduktion zur Versorgung von 7 Mrd. Menschen sind effiziente Massenbetriebe nötig. Aber ohne verschwenderischem Einsatz von Stickstoffdünger, wie es in der herkömmlichen Intensivlandwirtschaft passiert. Und ohne massigem Einsatz von Pestiziden, welche langfristig Mensch und Umwelt vergiften.“
Industrialisierte Bio-Bauernhöfe
Selbst im Umgang mit Tieren rücken die Großkonzerne in kein besseres Licht. Ebenso wie in konventionellen Agrarfabriken braucht man auch hier ein dickes Fell. "Obwohl ich als Agrarbiologe gewusst habe, was mich erwarten wird, war wohl die Situation der Nutztiere am schwersten verdaulich bei den gesamten Recherchen", sagt Arvay.
Idyllische Bio-Bauernhöfe und glückliche Schweinderln existieren wohl nur mehr in der Werbung.Bio-Landwirte haben hier nichts mehr mit konventionellem Bauerntum zu tun. Arvay spricht von „einer Bio-Welt der automatischen Vogelnester, des Mittwochs als Bio-Schlüpftag, der Kükenfließbänder und der Todeskarusselle."
Bei Betriebsgrößen von 15.000 Hühnern, die sogar noch auf 18.000 ausgebaut werden sollen, kann wohl kaum mehr die Rede von glücklichen Hühnern sein. Die Ausbeute liegt derweilen bei 14.000 Bioeiern pro Tag. Auch eine Landwirtin aus der Steiermark, die Legehennen für die Bioindustrie hält, kommt in Arvay’s Buch zu Wort: "Vor zwanzig Jahren begannen wir als unabhängige Bauern mit fünfhundert Hennen und konnten ein volles Einkommen damit erwirtschaften. Heute haben wir dreitausend Tiere im Stall und damit zählen wir zu den kleinsten der Branche."
Selbst der Freigang ins Grüne ist in diesen Dimensionen kaum noch möglich. Drei Viertel aller heimischen Bio-Rinder dürfen sogar ganz legal in Ketten gelegt sein – und das während des Großteils ihres Lebens. Diese Tatsache ist einer rot-weiß-roten Sonderregelung für Betriebe mit weniger als 35 Großvieheinheiten (500 kg lebende Tiermasse) zu verdanken. Diese dürfen Dank dieses Schlupfloches mit der Anbindehaltung weitermachen, obwohl dies laut EU-Bioverordnung eigentlich verboten ist.
Selbst die Realität auf Österreichs Schlachthöfen sieht eher trist aus. Bio-Tiertransporte heben sich kaum von herkömmlichen ab, selbst in Schlachtbetrieben steht man unter Zeitdruck. "Unser Geschäft läuft nur mehr über die maximale Auslastung. Massenproduktion ist die Vorgabe der Handelskonzerne, anders geht heute gar nichts mehr", erklärt ein Betriebsleiter.
Lediglich 14 elitäre Schweine bleiben in Österreich von einem vergleichsweise tragischen Schicksal verschont: Lisa, Lilli, Engelbert, Susi, Chonchita, Oki Doki, Alles Roger, Sissi, Floh, Chupachup, Yupidu, Schnappi, Pippifein und Hallo Du. Das sind die Fernsehstars der "Ja! Natürlich"-Werbung. Wenigstens sie führen ein überglückliches Leben - am Gnadenhof, so Regina Bruckner, derStandard.at vom 25.1.2012.
Quellen:
http://www.biokontakte.com/artikel/essen-trinken/der-grose-bio-schmaeh
http://derstandard.at/1326503604742/Mogelpackung-Der-grosse-Bioschmaeh