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Wer is(s)t schon gern normal?

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Wer is(s)t schon gern normal?

Die Wegwerfkultur: Zu kurz, zu klein, zu krumm. Warum wir jedem Obst und Gemüse eine Chance geben sollten.


In vielen Teilen auf der Welt herrscht Hungernot. Bei uns hingegen werden täglich wertvolle, qualitativ hochwertige Waren, speziell Obst- und Gemüsesorten, weggeschmissen, weil sie kleine äußerliche Makel aufweisen. Muss das sein? Schmecken gebogene Gurken, vernarbte Zucchini und knubbelige Kartoffeln deshalb weniger? Muss alles immer schnurstracks sein? Sollten Produkte mit Schönheitsfehlern nicht auch dauerhaft den Sprung ins Regal schaffen?


Seit geraumer Zeit verkaufen diverse Supermärkte immer wieder fleckige Bananen, krumme Auberginen, ungleichmäßige Tomaten und dreibeinige Karotten. Hiermit soll die enorme Verschwendung von Lebensmitteln verhindert werden. Oftmals sind die „krummen Dinger“ sogar aromatischer und gesünder.


Für den Verkauf von den meisten Gemüse- und Obstsorten im Supermarkt gelten strikte Normen. Hierbei sind die Farbe, Form und Größe der Ware vorgeschrieben. Nur die Produkte, die der Norm entsprechen, landen im Regal. Produkte mit Schönheitsfehlern werden schon lange im Voraus aussortiert und finden keinen Weg zum Verbraucher, obwohl es sich um qualitativ hochwertige einwandfreie Ware handelt. Einige werden bereits auf dem Acker wieder untergepflügt. Andere landen während des Waschens, Verpackens oder Lagerns in der Mülltonne. Abhängig von der Sorte und dem Wetter entsprechen ca. drei bis zehn Prozent der gesamten Ernte nicht der Norm. Die Verschwendung von Lebensmitteln wird als sehr großes Problem angesehen. Jährlich landen ein Drittel aller Lebensmittel auf dem Müll bzw. verrotten sie auf dem Weg zum Verbraucher. Alleine in Deutschland entspricht das pro Haushalt einer Menge von 82 Kilogramm. Im Gegenzug bedeutet dies, dass von diesem Drittel an Lebensmitteln mehr als zwei Milliarden Menschen satt werden könnten. Alle Hungernden dieser Welt könnte man davon ernähren. Die weggeworfene Nahrung ist zudem über 700 Milliarden Dollar wert. Außerdem ist der Aufwand der Bauern in Bezug auf Wasser, Energie, Zeit und Ackerland enorm und bleibt letztendlich ohne Nutzen. Auch Dünger, Diesel und Pestizide, die der Umwelt schaden, wurden für den Anbau von Lebensmitteln verschwendet. Natürlich können die Bauern ihre „fehlerhafte“ Ware zu Saft verarbeiten, als Tierfutter verwenden, oder aber auf kleinen Wochenmärkten verkaufen. Dies reicht jedoch bei Weitem nicht um das Problem der enormen Lebensmittelverschwendung zu lösen. Um dem zusätzlich entgegen zu wirken, bieten also einige Supermärkte zeitweise schräg und krumm gewachsenes Obst und Gemüse an. Beispielsweise starteten Edeka und Netto 2013 das Experiment „Keiner ist perfekt“, in welchem Obst und Gemüse mit Schönheitsfehlern verkauft wurden. Ebenso Supermärkte aus der Schweiz unter dem Namen „Ünique“. Alle Produkte wurden zu einem deutlich niedrigeren Preis verkauft, ein Preisnachlass von ca. 30-50 Prozent. Auch Rewe hat im selben Jahr die „Wunderlinge – Die Vielfalt der Natur“ in sein Sortiment genommen und verkauft die Äpfel, Gurken, Karotten und Kartoffeln zum halben Preis der „normalen“ Ware. Die Europäische Union, sowie die Politik in Brüssel, streichen immer mehr Obst- und Gemüsenormen. Ebenso setzt sich die Regierung in Deutschland für die Abschaffung weiterer Normen ein. Vielmehr sind die Händler selbst für die Lieferung von „makellosen“ Produkten verantwortlich, da diese ihren Lieferanten Vorgaben machen und freiwillig eigene Regeln aufstellen. Einige Händler halten also noch an älteren Richtlinien der Europäischen Union fest, aus Angst den Kunden mit „fehlerhaftem“ Gemüse und Obst zu verschrecken. Seit ein paar Jahren wird aber größtenteils gezielt der Verschwendung von Obst und Gemüse entgegen gewirkt. Einen Gegensatz zur Wegwerfkultur soll das Projekt „Verwendung statt Verschwendung“ bilden. Es soll den Konsumenten bewusst machen, dass auch Obst und Gemüse mit „Missbildungen“ gleichwertig ist. Diese Sonderlinge sollen langfristig einen festen Platz im Regal erhalten und die Kunden sparen Geld. Aktuellstes Beispiel sind die „Bio-Helden“ bei Penny. Seit dem 25. April werden deutschlandweit äußerlich nicht makelloses Obst und Gemüse unter einer Eigenmarke verkauft. Die kleinen Form- oder Farbfehler werden positiv in Szene gesetzt. Es kann dann auch beim Landbau auf beispielsweise Pflanzenschutz oder Düngemittel verzichtet werden. Dies führt dann zwar zu kleineren Früchten oder Fehlern in der Schale, hat jedoch weder Einfluss auf Qualität und Geschmack, noch auf die Haltbarkeit. Es soll damit erreicht werden, dass die Lebensmittel nicht unter ihrem Wert in die Industrie zur Verarbeitung gegeben werden. Ziel ist also alles Angebaute bestmöglich zu nutzen. Die „Bio-Helden“ werden nicht gesondert verkauft bzw. billiger angeboten, um das Gefühl einer geringeren Wertschätzung zu vermeiden. Stattdessen werden sie gemeinsam mit den „normalen“ Produkten verpackt. Schon bald sollen Konsumenten keinen Unterschied beim Einkaufen mehr machen zwischen Norm und Einzigartigkeit. Durch den Verkauf von Waren mit Schönheitsfehlern würde also Einiges nachhaltig resultieren. Die Schwierigkeit daran ist, dass es weitaus unbekannt ist, wie viel Obst und Gemüse tatsächlich im Müll landet bzw. anderweitig verdirbt. Beispielsweise wenn Verbrauer bereits gekauftes Essen daheim wegwerfen. Auch wird nicht mehr ganz so frische Ware in den Supermärkten oftmals zu schnell entsorgt.


Es ist enorm wichtig andere Handelswege zu etablieren, ein Image-Wechsel, dem Konsumenten ein Bewusstsein über den Lebensmittelwert zu geben. Man muss den Menschen bewusst machen, dass Produkte aus der Landwirtschaft keinesfalls immer gleich aussehen. Das unterschiedliche Äußerliche hat nichts mit den „inneren Werten“ von Obst oder Gemüse zu tun, weder mit schlechtem Geschmack noch jegliche anderen Qualitätseinschränkungen. Statt genormtem Äußerem sollten der Geschmack und die Qualität von Obst und Gemüse im Fokus stehen! Äußere optische Mängel dürfen keinesfalls mit qualitativen Mängeln assoziiert werden. „Nicht perfekte“ Lebensmittel sollen auch als natürlicher und „wie aus dem Garten“ angesehen werden. Denn herzförmige Kartoffeln und fleckige Äpfel sind für Menschen mit eigenem Garten längst zur Gewohnheit geworden. „Warum auch nicht? Wer seine Kartoffeln ohnehin zu Kartoffelbrei verarbeiten will, braucht keine Exemplare, die einen Schönheitspreis gewinnen könnten. Die Aprikosen für Konfitüre dürfen ruhig Hageldellen haben. Und wetten, dass Kinder dreibeinige Möhren viel spannender finden als normale?“ (zit. nach Brigitte, 2016) Und außerdem: Niemand ist perfekt. Und wer is(s)t schon gern normal?

 

Ines Bernhard & Aylin Mill

 

Quellen
Brigitte, 2016: Lebensmittelverschwendung. Krumme Gurken: Kauft Gemüse mit Charakter! Online im Internet, URL: http://www.brigitte.de/figur/ernaehrung/krumme-gurken-1180121/ (Zugriff: 17.05.2016; 22:50 Uhr)
Die Welt, 2016: Schräges Gemüse. Warum Penny seine krummen Möhren „Bio-Helden“ nennt. Online im Internet, URL: http://www.welt.de/wirtschaft/article154483389/Warum-Penny-seine-krummen... (Zugriff: 25.04.2016; 19:34 Uhr)
REWE Group, 2016: Die Naturgut Bio-Helden kommen! Online im Internet, URL: http://www.rewe-group.com/de/newsroom/pressemitteilungen/1506 (Zugriff: 25.04.2016; 19:31 Uhr)
REWE Wunderlinge, 2013: Wunderlinge bei Rewe. Obst und Gemüse mit Makeln. Online im Internet, URL: https://www.reduse.org/de/blog/wunderlinge-bei-rewe-obst-und-gem%C3%BCse... (Zugriff: 25.04.2016; 19:19 Uhr)
RP Online, 2013: In den Supermärkten. Krummes Obst und Gemüse wieder „in“. Online im Internet, URL: http://www.rp-online.de/leben/gesundheit/ernaehrung/krummes-obst-und-gem... (Zugriff: 25.04.2016; 19:26 Uhr)
Utopia, 2015: Etepetete. „krumme“ Gemüsekiste gegen Lebensmittelverschwendung. Online im Internet, URL: https://utopia.de/etepetete-gemuesekiste-gegen-lebensmittelverschwendung... (Zugriff: 25.04.2016; 19:15 Uhr)
Zeitjung.de, 2014: Nicht genormtes Gemüse. Krumme Dinger. Online im Internet, URL: http://archiv.zeitjung.de/zukunft/11077-krumme-dinger-nicht-genormtes-ge... (Zugriff: 25.04.2016; 19:30 Uhr)
Zeit Online, 2013: Nahrungsmittel. Gemüse, jung und wild. Online im Internet, URL: http://pdf.zeit.de/wirtschaft/2013-11/lebensmittel-normen-edeka.pdf (Zugriff: 25.04.2016; 19:06 Uhr)

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