Rezension zum Buch: "Für die Tonne - Wie wir unsere Lebensmittel verschwenden"

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Welche Fakten führt man zuerst an, wenn man über das Thema Lebensmittelverschwendung spricht? Vielleicht, dass man mit der Menge an verschwendeten Nahrungsmitteln in Europa und den USA alle hungernden Menschen auf dieser Erde dreimal satt machen könnte.1 Oder dass ein Viertel des weltweiten Wasserverbrauchs für den Anbau von Nahrungsmitteln verwendet wird, die später auf dem Müll landen. Möglicherweise auch, dass in Industrieländern etwa die Hälfte aller weltweit produzierten Lebensmittel weggeworfen wird.2
Schockierende Fakten gibt es genug und mit dem Ökoaktivisten Tristram Stuart auch endlich einen Autor, der all diese Zahlen und Fakten zusammen mit vielen persönlichen Erfahrungsberichten aufs Papier bringt. In seinem im Jahr 2009 erschienen Buch „Für die Tonne - Wir wir unsere Lebensmittel verschwenden“ (Originaltitel: „Waste. Uncovering The Global Food Scandal“) nimmt er den Leser mit auf eine bewegende Reise hinein in die Schattenseiten unserer modernen Konsumgesellschaft. Was passiert mit all dem Brot und Fleisch, das am Ende des Tages noch in den Supermarkttheken liegt? Warum gibt es in den Lebensmittelgeschäften immer nur perfekt geformtes Gemüse zu kaufen? Wie ist es möglich, dass Fische aus den Meeren am anderen Ende der Welt bei uns zu Spottpreisen verkauft werden können? Alles Fragen, auf die wir die Antwort lieber nicht so genau wissen möchten. Tristram Stuart gibt sie uns trotzdem, zusammen mit noch viel mehr bedrückenden Fakten und Geschichten.
1977 in England geboren hat sich Tristram Stuart nun schon viele Jahre lang mit den Themen Ernährung und soziale Ungerechtigkeit beschäftigt. Heute schreibt er nicht nur an seinen eigenen Büchern sondern auch für Zeitschriften und arbeitet an Aufbauprojekten im Kosovo und in Indien mit.

Im ersten Teil des Buchs mit dem Titel „Umkommende Besitztümer“ beschreibt Stuart das Ausmaß an Nahrungsmittelverschwendung und zwar im Bezug auf Herstellung, Verkauf in Supermärkten und privater Verschwendung. Zusätzlich werden auch einige Lösungsvorschläge aufgezeigt.
Zu Beginn erhält der Leser jedoch zuerst einen kurzen Einblick in die Lebensgeschichte des Autors. Stuart schildert, wie er als Jugendlicher in England beginnt, Schweine zu züchten und hier erstmals in Kontakt mit Lebensmittelverschwendung kommt. Von bestimmten Supermärkten erhält er kostenlos übrige Lebensmittel, die er an seine Schweine verfüttern darf, da sie nicht mehr verkauft werden können. Eines Tages stellt er sich natürlich die Frage, ob diese Lebensmittel denn nicht auch noch für Menschen genießbar wären - und probiert sie. Das Ergebnis: Diese Nahrungsmittel (Brot und Gemüse) sind nicht nur völlig unbedenklich essbar sondern auch noch ausgesprochen lecker. Keine Spur von hartem Brot oder schimmligem Gemüse.
Während seiner Zeit als Student beginnt Stuart dann, sich ausschließlich von den Lebensmittelabfällen der Supermärkten zu ernähren, er wird zum Freeganer. Dies war und ist jedoch für ihn nie die richtige Herangehensweise an das Thema Nahrungsmittelverschwendung selbst. Vielmehr hat der Freeganismus für ihn das Ziel, sich selbst überflüssig zu machen, indem Supermärkte durch die Lebensweise der Freeganer aufgefordert werden, ihren Überschuss sinnvoll zu verwenden.


Warum geben Supermärkte ihren Überschuss nicht einfach den Menschen, die ihn dringend benötigen würden, wie etwa Obdachlosen oder Personen mit sehr niedrigem Einkommen? Laut Stuart tun sie dies nicht, weil sie fürchten würden, dass durch ein Verschenken der Nahrungsmittel ihr Umsatz zurückgehen würde. Dies ist jedoch laut Autor sehr unwahrscheinlich, da die Personen, welche auf Lebensmittelspenden angewiesen sind, bisher ohnehin kaum etwas zum Umsatz der Geschäfte beigetragen haben. Weiteres verderben viele Supermärkte die Nahrungsmittelabfälle absichtlich, indem sie Brot, Gemüse und Obst zusammen mit ausgeschütteter Milch oder offenen Joghurts in die Tonne werfen. So hat dann absolut niemand mehr etwas von diesen eigentlich noch genießbaren Lebensmitteln. Stuart sieht die Ursache für dieses Verhalten darin, dass Supermärkte nicht von Abfallsammlern und Obdachlosen belästigt werden wollen.
Welch Ironie, denn würden sie nicht so viele gute Lebensmittel wegwerfen und diese stattdessen bedürftigen Menschen zukommen lassen, würde auch niemand mehr in ihrem Müll wühlen. Außerdem gäbe es auch die Möglichkeit der internen Weiterverwendung bestimmter Lebensmittel, zum Beispiel in den Restaurants der Supermärkte. Dies ist den meisten großen Handelsketten laut Stuart jedoch zu teuer und zu aufwendig. Mittlerweile werden zwar immer mehr übrige Lebensmittel an karitative Organisationen verteilt oder zumindest mittels anaerober Vergärung in Biogas umgewandelt, trotzdem gibt es hier laut Autor noch deutliches Verbesserungspotential.


Ein weiteres Problem besteht in den nicht vorhandenen oder nicht überprüfbaren Abfallstatistiken der großen Supermarktketten in England (wie etwa Tesco oder Sainsbury). Sogar heutzutage werden Daten und Fakten zum Thema Abfall vor der Öffentlichkeit fern gehalten: Abfall ist ein schmutziges Geheimnis. Gibt es Statistiken, so werden sie meist von den Supermarktketten selbst erstellt und können nicht überprüft werden. Doch die meisten veröffentlichen erst gar keine Daten mit der Begründung, dass dies den Konkurrenten einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnte. Wenn diese wüssten, wie viel sie selbst verschwenden würden, würde dies ihnen wertvolle Daten liefern, um ihr eigenes System effizienter zu gestalten. Stuart sieht dies als guten Grund, warum die Veröffentlichung von Abfallstatistiken gesetzlich geregelt werden sollte. Denn dann würden Supermärkte sich viel mehr Mühe geben, ihre Konkurrenten zu übertrumpfen und die eigene Abfallmenge möglichst schnell zu reduzieren. Zusätzlich würden die Daten so auch endlich der breiten Öffentlichkeit bekannt werden.
Wer jetzt denkt, dass sich dieses Problem nur auf England beschränken würde, ist weit gefehlt. Dort gibt es zumindest Statistiken, die von den Supermarktketten selbst erstellt wurden, in den USA und in Kontinentaleuropa hingegen finden sich laut Stuart überhaupt keine konkreten Zahlen. Positiv ist jedoch, dass die Supermärkte in den USA große Mengen ihres Überschusses karitativen Organisationen (wie etwa Feeding America) spenden. Die Geschäftsführer von Kroger (eine der größten Supermarktketten in den USA) sitzen sogar im Vorstand von Feeding America. Doch nicht überall ist die Entwicklung positiv. Walmart (ebenfalls eine der größten Supermarktketten der USA) etwa stellte ihre Lebensmittelspenden im Jahr 2006 ein, da sie sich Sorgen machten, verklagt zu werden, falls einer der Empfänger eine Lebensmittelvergiftung bekommen würde. Diese Sorge ist jedoch lächerlich und völlig unbegründet, da die Unternehmen davor gesetzlich geschützt sind.

Das traurige Fazit des Autors nach zwei Kapiteln: Noch immer wird viel zu wenig getan, um der Wegwerfkultur der Supermarktketten Einhalt zu gebieten. Oder um es mit den Worten eines Obdachlosen zu sagen, welcher von Stuart in diesem Buch zitiert wird: „Selbst wenn sämtliche Obdachlosen im Lande sich ihr Essen aus diesem Abfallbehälter (Anmerkung: Abfallbehälter einer großen Filiale von Sainsbury in England) besorgen würden, wäre immer noch genug übrig für dich.“

Trotz seiner vielen angeführten Quellen und gut belegten Fakten hat dieses Werk nur wenig von einer wissenschaftlichen Arbeit. Wer Sachlichkeit und einen neutralen Schreibstil erwartet, ist hier fehl am Platz. Stattdessen erwarten den Leser interessant aufbereitete Fakten, die mit vielen kleinen, persönlichen Geschichte von Stuart gemixt werden. Auf jeder Seite spürt man, wie wichtig dem Autor das Thema Lebensmittelverschwendung ist und dass er wirklich daran glaubt, dass jeder einzelne von uns mit seinem Beitrag helfen kann, die Welt besser zu machen. Das ist sicher auch das, was Stuart mit diesem Buch beabsichtigt: Die Leser dazu motivieren, selbst aktiv zu werden.
Doch wer sind die Leser überhaupt? Stuart richtet sich mit diesem Werk an alle Personen, denen soziale Themen und unsere Umwelt wichtig sind, unabhängig von Alter und Herkunft. Dennoch ist das Buch vor allem für Personen in England und den USA interessant, da die meisten der angeführten Beispiele aus diesen Ländern entnommen wurden. Zusätzlich ist ein gewisses Bildungsniveau von Vorteil, da das Buch stellenweise doch recht kompliziert geschrieben ist und auf vielen Fachbegriffen und Fremdwörtern aufbaut.
Einen roten Faden gibt es im ersten Teil des Buchs nicht wirklich, stattdessen viele Fakten bunt gemixt mit vielen kleinen Geschichten. Die Kernaussage des Autors wird dem Leser schon nach wenigen Seiten klar, trotzdem lohnt es sich weiterzulesen, vor allem wegen der vielen persönlichen Erlebnisberichte des Autors. Sie erschließen dem Leser die ansonsten recht trockenen Fakten und Statistiken auf eine ganz neuen Art und Weise und sorgen dafür, dass das Buch unterhaltsam bleibt.
Für mich ist dieses Buch absolut lesenswert, dennoch hätte ich mir etwas mehr Sachlichkeit gewünscht. Stuart bezieht ganz klar Stellung und hebt nur selten etwas Positives an den großen Supermarktketten hervor. Dabei hätte es dem Buch sicher gut getan, auch öfters Vertreter der Gegenseite zu Wort kommen zu lassen oder ein paar andere Meinungen einfließen zu lassen. Schon im Vorwort heißt es, dieses Buch würde zum Streiten einladen und dieser Ansicht kann ich mich durchaus anschließen. Doch egal, ob man Stuarts Werk liebt oder als eine zu einseitige Darstellung verwirft, das Thema Lebensmittelverschwendung ist allgegenwärtig und nimmt in seiner Brisanz immer mehr zu. Darauf hinzuweisen und einen Diskurs zu starten ist eines der großen Hauptanliegen des Autors und insofern hat er sein Ziel auf jeden Fall erreicht.

Eine Rezension von Sarah Bernardi

Quellen:

Buch: Stuart, Tristram: Für die Tonne. Wie wir unsere Lebensmittel verschwenden. Mannheim: Artemis & Winkler Verlag. 2011
1 Hübl, Markus: Kampf gegen Hunger beginnt am eigenen Teller. Online im Internet: http://www.wienertafel.at/fileadmin/uploads/img/presse/Presseaussendung/... (Zugriff am 12.04.2015)
2 Proplanta GmbH & Co. KG: Lebensmittelverschwendung. Zahlen und Fakten. Online im Internet: http://www.proplanta.de/Agrar-Lexikon/Lebensmittelverschwendung+-+Zahlen... (Zugriff am 12.04.2015)

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