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Gestalter sind geübt zu verdichten: beim Entwurf von Plakaten, beim Schneiden einer Videodokumentation oder dem Zeichnen einer Karikatur. Auch Designerinnen und Architekten gehen sorgsam mit Materialien um und sind bemüht, Menschen im Mittelpunkt zu sehen und diese mit guten Werkzeugen oder einer praktischen Behausung zu beglücken. Dies sollte auch die Aufgabe der Wirtschaft sein. Doch mit ihrem Zwang zu Wachstum treibt sie uns an Grenzen: Der Reichtum wird immer ungleicher verteilt und wir verbrauchen zu viel Ressourcen. Sind Gestalter Vorbilder, wenn es um eine gelingende Reduktion gehen soll? Welche Medien und Produkte wären noch zu entwickeln, um das rechte Maß zu finden? Und welche wirtschaftspolitischen Alternativen zeichnen sich ab, um mehr Menschen eine gute Balance im Leben zu ermöglichen, mit individuellem Glück und Teilhabe an der Gesellschaft?
Das Doppel-Symposium am 21. und 22.10.2010 in Dornbirn an der FH Vorarlberg lieferte Ideen, Ansätze und konkrete Vorschläge. Am ersten Tag war Betroffenheit zu spüren, ob der Anforderungen zum Umbau der Wirtschaft in eine Postwachstumsökonomie. Im Jahr 2004 veröffentlichte der Club of Rome ein Update zu ihrem Bericht aus 1974. Sie brachten die Daten auf den neuesten Stand, nahmen leichte Veränderungen an ihrem Computermodell vor und errechneten anhand verschiedener Szenarien mögliche Entwicklungen ausgehend vom Jahr 2002 bis zum Jahr 2100. In den meisten der errechneten Szenarien ergibt sich ein Überschreiten der Wachstumsgrenzen und ein anschließender Kollaps („overshoot and collapse“) bis spätestens 2100. Eine Fortführung des „business as usual“ der letzten 30 Jahre führe zum Kollaps ab dem Jahr 2030. Spätestens mit dem Scheitern des Klimagipfels in Kopenhagen wurde klar, dass die Politik alleine den Umbau nicht schaffen wird.
Achsen in der Gestaltung haben eine Parallele in der Ethik: Dort ist die Axiologie die Lehre von den moralischen Werten. Hierzu drängen sich zwei Forschungsfragen auf: Erstens, welche Gestaltungsprinzipien können welchen Werten entsprechen und zweitens, welche Zielgruppen können mit welchen Medien erreicht werden, um einen Diskurs über Werte und Reduktion zu forcieren.
Ja, die Gestaltung kann etwa durch Hingabe an eine Aufgabenstellung und einer Steigerung der Wahrnehmung einen Beitrag leisten, auf das Wesentliche zu lenken und von überflüssigem Ballast zu befreien. Nicht jedes gute Design berücksichtigt den Einsatz der Ressourcen, die direkt oder indirekt mit der Produktion oder Nutzung eines Gegenstandes verbunden sind. Und schickes Design und aufdringliche Werbung wecken auch Begehrlichkeiten, welche dem Prinzip der Reduktion eigentlich widersprechen. Auch Aufforderungen, etwas neues zu verwenden, um altes zu reduzieren, sind zu hinterfragen, denn die Aufwände für die Produktion, Transportwege und Entsorgung sind nur selten transparent. Mit klarer Kommunikation etwa auf Produktetiketten kann die Gestaltung einen entsprechenden Beitrag leisten.
Auf jeden Fall können wir mit Hilfe der Gestaltung neue Geschichten transportieren, welche Werthaltungen wie Fairness, Umsicht oder Zufriedenheit kommunizieren. Spätestens jetzt darf sich die Gestaltung nicht nur als Werkzeug, sondern als Quelle und Schöpferin einer Narration verstehen, welche Reduktion übt und in die Gesellschaft und Wirtschaft trägt. Die Beliebigkeit einer Postmoderne wird etwa im aktuellen österreichischen Dokumentarfilm von Dokumentationen abgelöst, die einen neuen Anspruch auf eine Verbesserung der Welt haben: „Let's make Money“, „We feed the World“ oder „Plastic Planet“ zeigen auf offene Wunden. Das Kino in Frankreich erzählt weiterhin Schicksale, etwa mit „39,90“ einen Protagonisten der Werbeszene und seinem ethischen Dilemma in einer Agentur. Der deutsche Witz spielt mit Vorurteilen, die mitunter irritieren und wachrütteln und allenfalls das Genre des schwedischen Krimis ist an gesellschaftlicher Aufklärung bemüht, wenn Nord-Süd Konflikte den Stoff liefern. Doch über das mechanistische Weltbild hinaus zeichnen sich keine neuen Universalerzählungen ab, die uns die Welt erklären und verbindliche Werthaltungen transportieren, wie es die Bibel oder Goethes Faust leisteten. Ob die Mediengestaltung hierzu etwas beitragen könnte, blieb im Symposium als Forschungsfrage stehen. Vielleicht ist es die Teilchenphysik, die sich nicht nur mit Elementarteilchen beschäftigt, sondern mit dem Nichts dazwischen und den Wellen, die womöglich die Welt zusammenhalten. Dann würde eine weitere Steigerung der Reduktion, wie wir sie etwa auch in der Medizin mit der Homöopathie kennen, uns vielleicht auch neue Erkenntnisse liefern.
Der zweite Tag des Symposiums widmete sich der Anwendung von Reduktion auf Mensch und Ökonomie. Innere Ruhe und Balance zu finden wurden als wichtige Übungen erfahrbar, um Reduktion auch im Alltag leben zu können. Dabei sollen wir uns nicht von der Welt abwenden, sondern durch Einkehr und Meditation Energie für zivilgesellschaftliches Engagement sammeln. Voraussetzung dafür ist Wahlfreiheit, welche wir nur haben, wenn es keine Armut gibt, doch die gibt es überall, auch bei uns. Ein Grundeinkommen könnte die Voraussetzung dafür schaffen, Balance zu finden und Reduktion nicht aus der Not, sondern als Tugend umzusetzen, mit mehr Chancen für alle. Von zentraler Bedeutung sind die Messlatten, die wir anwenden, um Zufriedenheit auszuloten. Glücksforscher wollen das Bruttoinlandsprodukt durch andere Indikatoren ablösen, etwa den Happy Planet Index. Denn die ursprüngliche Bedeutung der Ökonomie ist weder Wachstum noch Gewinnmaximierung, sondern "die Kunst, das Beste aus dem Leben zu machen". Ein gesunder und nachhaltiger Lebensstil ist mittlerweile marktfähig und attraktiv für den Handel, denn für biologische und faire Produkte geben wir gerne auch mehr aus. Doch bewusster Konsum alleine wird die Welt nicht retten. Letztlich müssen wir auch unser Verhalten hinterfragen, etwa bei der Mobilität, wie viel Fleisch wir essen oder wie viel Wohnfläche wir im Winter beheizen. In der Landwirtschaft entstehen kooperative Strukturen: interkulturelle Gärten in Großstädten oder neue Formen der Zusammenarbeit mit Landwirten in der Region. Wenn die Abnehmer sich am Hof beteiligen, an der Arbeit oder als Teilhaber finanziell, dann entsteht ein neuer Bezug zu dem, was wir essen und trinken und gehen bewusst und sorgsamer mit Lebensmittel um. Gemeinschaftsbüros bringen Selbstständige zusammen und ermöglichen die Entwicklung neuer Geschäftsideen, insbesondere auch im sozialen Bereich.
In Themenworkshops ging es dann etwa um Fairness mit Geld und wie Banken ihre Fähigkeiten zur magischen Geldvermehrung verkaufen. Hier wurde die Forderung laut, das Geschäftsfeld Kredit und Sparen vom Investmentbereich abzukoppeln. Fonds der eigenen Berater oder der Mutterbank sollten entweder ganz gemieden oder nach ethischen Kriterien durchleuchtet werden, denn diese setzen mitunter auch auf Kursschwankungen bei Grundnahrungsmittel und begünstigen Spekulationen damit. Die Regulierung muss ausgebaut werden, denn nach der Finanzkrise ist vor der nächsten Krise: 2010 werden CDS (Credit Default Swaps), die wesentlich zum Bankencrash 2008 beigetragen haben, mittlerweile sogar an Private verkauft. Eine Finanztransaktionssteuer kann das System entschleunigen und die immensen Vermögen, die täglich ohne realen Gegenwerte und nur aus Profitgier gehandelt werden, dezimieren.
Manche Fragen im Ethikforum erfordern eine weitere Vertiefung, etwa was Reduktion für unsere Mobilität bedeuten würde. Wenn wir ernsthaft weniger fossile Energien verbrauchen und Treibhausgase einsparen wollen, dann müssten wir fast ohne Auto auskommen müssen und würden keine Flugreisen mehr machen. Wer auf dem Hang wohnt, würde sich ein Pedelec zulegen und statt einer Fernreise genießen wir einen Tapetenwechsel in einer Stadt in der Nähe. Statt am Samstag Erlebnis - Shoppen zu fahren klopfen wir an die Tür einer Immigrantenfamilie in der Nachbarschaft und fragen nach, was denn auf ihrem Speiseplan steht. Wir werden sicher eingeladen, Platz zu nehmen und zu probieren. Das könnte genauso ein unvergessliches Abenteuer werden, ganz ohne Pauschalangebot nach Antalya.
Was nehmen wir aus dem Symposium sonst noch mit? Der Karikaturist Heribert Lenz erläuterte seine Arbeitsweise als eine Gratwanderung zwischen Provokation und Aufklärung. Dabei werden grafische Elemente eingesetzt, die mitunter auf Vorurteilen basieren, um so rasch den Kontext darzustellen. Die Botschaften sind unverblümt, direkt und leicht erfassbar. Widersprüchliche Werthaltungen, die das Zeichner-Duo Greser&Lenz in Politik und Wirtschaft beobachten, liefern den Stoff für eine mitunter sarkastische Aufarbeitung des Zeitgeschehens mit den Mitteln einer intelligenten Reduktion.
Gutes Design ist mehr als Reduktion! Die Besteckserie MoonLashes von Vera Purtscher sind nicht nur gefaltetes Blech. Erst ein sehr kompliziertes Form - und Press –Verfahren machen die Gewichtsverlagerung innerhalb der Besteckteile möglich, damit sie ideal in der Hand liegen. Genauso wie minimalistische Architektur besonders viel Denkarbeit und komplizierte Detail- Lösungen verlangt, genauso ist es mit reduziertem Design. Einfach gestalten heißt meist auch „raffiniert“ gestalten. Schlichtheit ist schwer zu erreichen, erfordert Übung und auch ein gehöriges Maß an Intuition und Geduld, aber auch eine gute Kooperation mit den Handwerkern, die das Produkt dann schlussendlich produzieren.
Die Natur kennt beides: die Üppigkeit von Pflanzen, eine Vielfalt an Gesteinen, Varianten von Kreaturen aller Art. Auch wenn es den Anschein hat, dass die Schöpfung die Askese gar nicht vorsah, muss man sich andererseits nur die Lebensweise etwa spezieller Mikroorganismen oder auch genügsamer Tiere vorstellen, die um zu überleben Enthaltsamkeit üben oder ihre Lebensfunktionen weitgehend reduzieren können.
Markus Hanzer ging der Frage nach: Woher glauben wir zu wissen, was zu viel und was zu wenig ist? Ein breiter Konsens scheint schwer erreichbar. Wir leben mit sehr verschiedenen Menschenbildern gleichzeitig und die damit verknüpften Weltanschauungen beruhen auf sehr unterschiedlichen Auffassungen über die Rechte, Pflichten und Aufgaben der Menschen. Wenn dann weniger mehr ist, warum ist dieses MEHR nicht überall ausreichend beliebt und begehrt? Angenommen, wir glauben an die Notwendigkeit, den allgegenwärtigen Wachstums- und Wettbewerbsspiralen etwas entgegensetzen zu müssen, warum scheinen jene Zeichen, die uns zu einem MEHR UND MEHR verführen, wirkungsvoller zu sein, als alle Versuche, uns unsere Verantwortung für unser Handeln bewusst zu machen – und welchen Beitrag könnte Gestaltungsarbeit dabei leisten?
Er zeigt einige Beispiele: Etwa die Kreditkarte der Zukunft, entworfen von Jacob Palmborg, die bei jedem Kauf auch die Ursachen und Auswirkungen unseres Handelns näher bringt. Sparsamkeit muss auch schick sein können, dies zeigen uns die futuristischen Entwürfe der Automodellbauer. Und die Architektur macht es schon lange vor: auch mit Schlichtheit lässt es sich vorzüglich protzen. Selbst in der, in unseren Breiten immer wieder bewunderten Einfachheit japanischer Architektur, geht es ja nicht primär um Reduktion, sondern sie ist unter anderem das Ergebnis einer Suche nach Möglichkeiten einer Steigerung der Wahrnehmungsfähigkeiten. Wie Jun'ichirô Tanizaki in seinem Essay „Lob des Schattens“ ausführt, hat selbst die Verdunkelung der Räume den Zweck den Blick zu schärfen und zu fokussieren. Markus Hanzer hegt die Vermutung, dass der Weg zu einem wacheren Blick auf die Folgewirkungen unseres Handelns nicht zwangsläufig über eine minimalistische Gestaltungssprache zu erreichen ist. Um jene Probleme zu lösen, die wir als drängend erachten, erscheinen ihm vielmehr zwei Punkte bemerkenswert. Einmal wird es immer notwendiger auch komplexe Zusammenhänge so aufzubereiten, dass wir damit umgehen können. Der beliebte Trend zur radikalen Vereinfachung ist hoch riskant und führt vorwiegend zur Verschleierung von Sachverhalten. Spannend ist die Entwicklung von Gestaltungssprachen, die uns den Blick auf Zusammenhänge nicht verwehren, sondern uns helfen, Strukturen zu erkennen und sinnlich zu begreifen, die sich derzeit der unmittelbaren Wahrnehmung entziehen: Kunst, Kultur, Spiele. Was zählt ist am Ende immer unsere Bereitschaft unsere Augen und Ohren und alle Sinne zu öffnen, um die Welt um uns auch aus einem gebührenden Abstand zu betrachten. Junge Menschen schauen sehr genau darauf, in welchem Zustand die ältere Generationen ihnen die Welt überlässt und wird diese noch stärker in die Verantwortung nehmen müssen. Markus Hanzer plädiert dafür, einfach zu lernen, jene Dinge und Umstände zu genießen, zu denen wir bereits jetzt Zugang haben, und nicht jeder Mode und jedem Update anheim zu fallen.
Eine zweite Aufklärung wäre der Versuch, Zusammenhänge besser verständlich zu machen und uns von einigen bisherigen Gewohnheiten loszulösen. Hier kann die Gestaltung einiges beitragen, sei es im Produktdesign, für die Bildung oder eine gewisse Enthaltsamkeit im Marketing. Ein Leitprinzip hierzu wäre etwa der Cradle-to-Cradle Ansatz: jedes Tun und jedes Material soll am Ende eines Zyklus wieder „in die Wiege gelegt werden“, und nicht auf Mülldeponien oder als Wärme entsorgt werden müssen.
Gestaltung kann weiters einen Beitrag leisten, die Narration unser Kultur zu entschleunigen. Hubert Matt beschreibt eine cinematografische Gesellschaft, in der die Bilder immer schneller laufen lernten, auch jene, die uns zu immer neuer Mode, Innovationen und Produkten antreiben. Die im Herbst 2010 aktuellen Proteste in Stuttgart gegen den Umbau des Bahnhofsareals zu einer Geschäftswelt zeigen etwa, dass viele Menschen da nicht mehr mit können und wollen: der Film der ersten Moderne ist gerissen, die Spulen wickeln sich von selbst ab. Nach dem „anything goes“ der Postmoderne sehen wir die Notwendigkeit einer zweiten Aufklärung, die sich auf menschliche Werte besinnt und eine Prosperität aller Lebensbereiche und nicht nur der Wirtschaft einfordert, unter Rahmenbedingungen, die fair und nachhaltig sind.
Einige Prinzipien des Design könnten uns anleiten, Werte wie Zufriedenheit, Umsicht oder Kooperation auch in anderen Bereichen anzuwenden. Siehe dazu die Dokumentation des Ethikforum 2010 (mit Videoaufzeichnungen der Vorträge).