Bericht Ethikforum

Die zweite Auflage des "EthikForums Vorarlberg" fragte am 22.10.2010 an der Fachhochschule Vorarlberg in Vorträgen und mehreren Workshops nach dem Weg zum Wesentlichen, nach dem Kern der Dinge.

Knapp zweihundertfünfzig Zuhörer/innen waren bei der Eröffnung des EthikForums dabei. Dr. Herbert Sausgruber hat mit seinem Grußwort das EthikForum offiziell eröffnet - es waren vor allem auch Studierende der Fachhochschule und auch einige Schulklassen nach Dornbirn gekommen. Das Ethikforum wird von mehreren Organisationen getragen, die im Ethiknetzwerk Vorarlberg organisiert sind.

Michael Willam EthikForum 2010Der Mitinitiator des EthikForums, Michael Willam, wies in seiner Einführung den Weg in die Veranstaltung. Wo Immanuel Kant in der letzten seiner vier grundlegenden Fragen formulierte: "Was ist der Mensch?", aktualisierte der Leiter des EthikCenters der Katholischen Kirche Vorarlberg dies zur Frage: "Wie gehen wir mit dem Menschen um?" Gerade im Blick auf die zuletzt heftig diskutierte Abschiebepraxis in Österreich. Viele Kommentatoren hatten in den letzten Wochen übrigens bereits angemerkt, man sollte doch besser auf Politiker wie Maria Fekter verzichten. Reduktion? Eine Frage auch im politischen Diskurs.

Von der hohen Politik zu den wirklichen Lebensfragen. Wer reduziert schon gerne, von sich aus? Ein einfaches Beispiel: In welchem Unternehmen wird etwa ein Familienvater nicht schief angeschaut, der sein Anstellungsausmaß auf 70% reduzieren möchte, um mehr bei der Familie sein zu können?

 
Reduktion spirituell

In seinem Gang durch die Gedanken spiritueller Meister und großer Theologen präsentierte P. Karcher  gleich mehrere Klassiker. Das begann bei Johann Baptist Metz, der das Diktum "Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung." geprägt hatte. Das führte zum Gründer des Jesuiten-Ordens, Ignatius von Loyola, zu dessen berühmtesten Sätzen gehört: "Nicht das Vielwissen sättigt und befriedigt die Seele, sondern das Verspüren und Verkosten der Dinge von innen her" (Exerzitienbuch, 2). Und auch die Bibel lehre die Stille, so P. Karcher: "Ich ließ meine Seele ruhig werden und still; / wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele still in mir. / Israel, harre auf den Herrn / von nun an bis in Ewigkeit!" (Psalm 131).

 
Sehnsucht und Handlungsethik

Viele Dinge der modernen Welt - so eine weitere These des Jesuiten - bringen die Menschen in vielfältige Dilemmata. Der Arbeitsdichte und dem immer schnelleren Aufeinanderfolgen von Arbeitsschritten stehe die Sehnsucht nach Unterbrechung gegenüber, der Reizüberflutung die Sehnsucht nach Stille, der Oberflächlichkeit der Weg in die Tiefe, der Informationsflut die Sehnsucht nach Erfahrung sowie Begegnung, und dem Leistungsdruck die Erfahrung des Geschenks.

Die kognitive Welt werde kontrastiert durch die Sehnsucht nach Sinnlichkeit. "Unsere fünf Sinne sind unsere erste Begegnung mit der Welt. Die Welt aber begreifen, das Denken, das Bilden von Begriffen ist dagegen sekundär. Bei Thomas von Aquin heißt es, dass wir im Himmel nicht über Gott nachdenken, sondern Gott selbst schauen werden." Und auch Karchers Ordensgründer erachtet es am Ende der Exerzitien für ausgesprochen wichtig, dass nun die "Liebe mehr in die Werke als in die Worte gelegt" werden müsse. Anders gesagt: Spirituelle Höhenflüge müssen sich immer nach der Wirklichkeit von Reduktion im Alltag fragen.

Gerade diese Frage nach dem Alltag führte P. Karcher zur Ethik. Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter zeichnet Jesus seinen Prototypen eines gerecht handelnden Menschen: "Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin und half ihm." (vgl. Lk 10) - Das ist Jesu Lehre von der Orthopraxie - vom richtigen Handeln. Im Kontext eines Ethikforums am Beginn des 21. Jahrhunderts bedeute spirituelle Reduktion die Achtung vor dem Leben und das Bemühen um nachhaltiges Handeln. Diese Achtsamkeit im Handeln drückte P. Karcher mit einem Klassiker aus: "Contemplativus in actione - betrachtend im alltäglichen Handeln." Dieses Diktum stammt - wie könnte es andes sein - wiederum von Ignatius von Loyola.

 
Glück kann man nicht kaufen

Binswanger Mathias EthikForum 2010Einen ökonomischen Blick auf die Reduktion warf der Volkswirtschaftler und Glücksforscher Mathias Binswanger. Glück geht für ihn nicht mit der Summe von verfügbarem Geld einher, mehr Einkommen mache nicht automatisch glücklicher. Lottogewinner etwa, so eine empirische Studie, seien zwar anfänglich überglücklich, aber bereits nach einem Jahr genauso glücklich oder unglücklich wie vor dem Gewinn. Übrigens meine "Ökonomie" in seiner ursprünglichen Bedeutung nicht einfachhin die Gewinnmaximierung, sondern "die Kunst, das Beste aus dem Leben zu machen."

Dass Geld nicht unbedingt glücklicher mache, zeige der Vergleich zwischen den Bewohnern unterschiedlicher Länder, aber auch zwischen Menschen mit unterschiedlichem Lebensstil. Die Amish-People oder auch Ureinwohner am Amazonas sind - ohne die Segnungen des modernen Konsums und des technischen Fortschritts - glücklicher als etwa die reichsten Amerikaner. Auch der Ländervergleich bringt Erstaunliches zutage: Oberhalb eines gewissen Schwellenwertes an Einkommen - dazu gehören die Bewohner Westeuropas, Nordamerikas und Japans - würden die sich die meisten Bewohner zwar als glücklich bezeichen. Aber unterhalb diese Schwellenwertes habe das Einkommen einen weit weniger großen Einfluss auf das Glücksgefühl. So sind Menschen in Ländern des ehemaligen Ostblocks im Schnitt weitaus unglücklicher mit ihrem Leben als Menschen in Latein- und Zentralamerika. Salsa und Samba stimmen fröhlicher als Kommunismusmelancholie und der Frust über vertane Jahre.

 
Die Tretmühlen

Der dritte Bereich ist die so genannte Multioptionstretmühle. Die Definition des Glücksforschers dazu: "Mit dem Wirtschaftswachstum ist eine immer größere Vielfalt an Gütern und Dienstleistungen verbunden. Gleichzeitig sind traditionelle Tabus weggefallen, welche das menschliche Handeln beschränkten. Die Optionen für Arbeit, Freizeit und Konsum nehmen ständig zu: 'anything goes'. Aber der Entscheid für die richtige Option wird dadurch immer schwieriger, da die stets steigende Zahl an Optionen auf ein konstantes Zeitbudget trifft. Die Auswahl wird von einem Dürfen zu einem Müssen." - Die letzte Mühle schließlich sei die Zeitspartretmühle. Technischer Fortschritt führe dazu, dass wir bestimmte Aktivitäten immer schneller und in immer kürzerer Zeit ausführen könnten. Aber trotzdem gelänge es uns im Allgemeinen nicht, tatsächlich Zeit zu sparen, denn es komme zu einem so genannten "Rebound-Effekt": Je schneller eine Aktivität durchgeführt werden könne, umso mehr und öfter werde sie durchgeführt. Das klassische Beispiel für Binswanger dafür: "Je schneller die Transportmittel werden, umso weiter und häufiger fahren wir."

Parwan Peter EthikForum 2010Wer oder was lebt "lohas"? Ein Drittel der Bevölkerung in Deutschland, so schätzt Parwan, gehöre zu dieser Gruppe, die sich für einen nachhaltigen Lebensstil interessieren, bewusster einkaufen, die Produktherkunft kritischer hinterfragen. Lohas ist für Parwan somit der Gegenentwurf zum hedonistischen Lebensstil, der die westlichen Länder die letzten 50 Jahre geprägt hat. Lohas-Leute kaufen anders, dennoch sind sie sind keine "Zielgruppe" in der Terminologie herkömmlicher Produkt-Absatz-Strategien. Auch wenn Unternehmen, die mit nachhaltigen Produkten am Markt sind und für die Nachhaltigkeit auch Teil des Marketing ist, sich das gerne so wünschen würden.

 
Krisen-Kreise

Peter Parwan macht derzeit drei Krisen-Kreise aus. Zunächst den Klimawandel. Bei Experten bereits seit über 30 Jahren diskutiert, hat er erst in den letzten Jahren ein breiteres Bewusstsein erlangt, wurde durch Al Gore populär. Zweitens: Die Ressourcen-Frage. Einigen Hochtechnologie-Industrie-Zweigen in Deutschland gehen die für die Produktion nötigen Rohstoffe aus. Der dritte Krisen-Kreis sei schließlich die Finanzwelt. Dass es zu einem Finanzcrash durch die Immobilienkrise in den Vereinigten Staaten wie 2008/2009 kommen könne, war - wiederum unter den Experten - vorher schon völlig klar. Die wirtschafltichen und politischen Eliten hätten aber keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um dies abzuwenden. Und tun es heute, nach dem Crash, auch nicht wirklich. Bankenpakete funktionieren, so Parwan, lediglich nach der bestehenden Logik, eben jener Logik, die zur Finanzkrise geführt haben.

Was aber ist nachhaltiger Lebensstil konret? Dazu habe jeder eine andere Vorstellung. resümierte Parwan. Auf eine These konnten sich die Besucher des EthikForums jedoch gewiss einigen: "Wir müssen nicht weniger konsumieren, sondern klüger", wie es Tagungsmoderator Thomas Matt formulierte.

 
Zurück-führen statt zurück-schrauben

Solidarische Ökonomie findet Bayer in Formen des Wirtschaftens, die menschliche Bedürfnisse auf Basis freiwilliger Kooperation, Selbstorganisation und gegenseiter Hilfe befriedigen. "Menschen entscheiden gemeinschaftlich darüber, welche Dinge unter welchen Bedingungen produziert und konsumiert werden", so ihre Definition.

Genossenschaften können in beinahe allen Lebensbereichen gebildet werden. Von den Lebensmitteln (Fair-Trade mit den Entwicklungsländern), der Frage nach Vermarktung und Konsum (Konsumgenossenschaften, Mitgliederläden), über Formen von Subsistenzwirtschaft (Selbstversorgung) und die Berücksichtigung alternativer Energien (Energiegenossenschaften) und des Grundbedürfnisses Wohnen (Selbstbau-Initiativen) gehen die Möglichkeiten kooperativen Wirtschaftens bis hin zur gemeinsamen Nutzung von Dingen (Carsharing, Mitfahrgelegenheiten), zur Finanzwelt (Tauschkreise, lokale Währungen, ethisches Invenstment) und zu alternativen Eigentumsformen (Kooperativen, Belegschaftsübernahmen, gemeinsame Rechte an Open-Source-Software).

Dieser Text ist eine Zusammenfassung des Ethikforums von Dietmar Steinmair (Redakteur des Teams Kommunikation der Katholischen Kirche Vorarlberg, Originalbeitrag und weitere Bilder hier).

Videoaufzeichnungen der Vorträge hier.